Buchcover "Robin Ruhelos"
Kinderbuch
von Bruno Blume und Noëmi Sacher
96 S. |
31 vierfarbige Illustrationen von Tanja Stephani
4. Band der Reihe InsBesondere Kinder
14,8 x 21 cm | Hardcover
kwasi verlag 2025
22 Fr. | 19 € || zum Vorlesen ab 6 Jahren, zum Selberlesen ab 8 Jahren
ISBN 978-3-906183-36-7
AutorIn und Illustratorin

Bruno Blume ist in der Schweiz aufgewachsen. Seit 2001 sind 28 Bücher von ihm erschienen, von denen viele ausgezeichnet und übersetzt wurden. Er hat fünf Kinder und lebt – nach einigen Jahren in Italien und Deutschland – in Luzern.

Noëmi Sacher, 1980 in Schwyz geboren, studierte Germanistik, Volksliteratur und Kunstgeschichte in Zürich und schloss mit einer Arbeit über Bestsellerforschung am Beispiel von Dan Brown ab. Absolvierte dann die Schule für Angewandte Lingistik in Zürich. Sie schreibt historische Romane, Fantasy und Kindergeschichten und lebt mit ihrer Tochter in Arth und Luzern (Schweiz).

Tanja Stephani ist Grafikerin, Illustratorin und freie Künstlerin. Sie lebt mir ihrer Familie und Tieren auf einem abgelegenen Bauernhof im Zürcher Oberland (Schweiz).

 

 

Rezensionen
Neurodiversität

Alma Abweisend ist kein Sachbuch und noch weniger ein Buch um Kinder zurechtzubiegen!

Es ist die warmherzige Geschichte eines nachdenklichen, mitfühlenden Mädchens, das sich entschließt, den anderen endlich zu zeigen, was in ihr vorgeht. Die Innensicht der Protagonistin gibt uns die Möglichkeit, ihr Verhalten als Folge ihrer ungefilterten Erlebnisse und langen Denkprozesse zu sehen. Sie wirkt abweisend, zurückgezogen, und als sie sich öffnet wird ihre Klugheit und ihr Gemeinschaftssinn sichtbar. Sie ist besonders – und gerade darum wie (fast) jedes Kind.

Mit einem Nachwort zu Autismus von Matthias Huber.

 

Alma Abweisend

Beschreibung

Alma geht eigentlich gern zur Schule. Sie muss aber höllisch aufpassen, dass nichts Außergewöhnliches geschieht. Wie an diesem verkorksten Vormittag: Alma will die Wiese auf ihrem Bild malen, doch Robin hat ihr den grünen Stift geklaut. Und streitet es auch noch ab! Sie muss aufs Klo, und vor dem Schulklo ekelt sie sich so. Und dann kommt auch noch ein Neuer in die Klasse. Der ist vielleicht sogar nett, aber Alma muss nun ausgerechet neben Robin sitzen! Dem Stiftedieb, der nie ruhig sitzen kann und nichts als Chaos verbreitet. Alma muss alle Konzentration aufbringen, damit der rumpelnde Vulkan in ihrem inneren nicht ausbricht. Dass sie dabei abweisend schaut, darum kann sie sich nicht auch noch kümmern.
Robin muss weg. Sonst kann sie nie mehr zur Schule gehen! Da müssen ihr Hund Merlin und die Schnecken helfen.

Leseprobe

Dieb im Klassenzimmer

 

Alma sucht ihren Stift, den dunkelgrünen. Damit will sie die Wiese auf ihrer Zeichnung ausmalen. Der Stift fehlt, obwohl das ganz und gar unmöglich ist. Alma hat ihn heute noch nicht benutzt. Und gestern hat sie ihn wie immer an seinen Platz in ihrer Federmappe gesteckt, zwischen dem hellgrünen und dem hellblauen Stift. Warum fehlt er jetzt?

Sie streckt ihren Arm in die Luft. Als Herr Feigenwinter sie aufruft, sagt sie: »Mein dunkelgrüner Stift fehlt.«

»Alma«, sagt der Lehrer, »gestern war es der blaue Stift …«

»Der hellblaue«, korrigiert ihn Alma. »Und vorgestern auch schon der dunkelgrüne.«

»Ja, eben. Und dann hast du deine Stifte doch wieder gefunden. Also wird der dunkelgrüne heute auch wieder auftauchen.«

»Aber ich brauche ihn jetzt«, beharrt Alma, »ich muss die Wiese ausmalen.«

»Dann such ihn«, bestimmt Herr Feigenwinter. »Oder nimm den hellgrünen. Aber lass die anderen in Ruhe zeichnen!«

Das geht aber nicht, findet Alma, dass sie den hellgrünen nimmt. Weil auf ihrer Zeichnung ist es Herbst, also muss das Gras dunkelgrün sein. Und suchen braucht sie den Stift auch nicht. Sie weiß, dass er weg ist. Er steckt ja nicht in der Halterung von ihrer Federmappe. Aber Alma sagt nichts mehr. Und zeichnet nicht mehr weiter. Die Zeichnung sieht toll aus, sie ist ihr richtig gut gelungen, findet sie. Aber wenn die Wiese nicht dunkelgrün ist, gefällt sie ihr nicht. Im Gegenteil, es macht sie traurig.

Sie stützt den Kopf auf ihre Hände und wartet. Etwas anderes fällt ihr nicht ein.

Dann merkt sie, dass sie aufs Klo muss. Ausgerechnet. Sie will auf keinen Fall in der Schule aufs Klo gehen. Dort riecht es so ekelhaft. Richtig schlimm. Darum geht sie immer am Morgen als Letztes aufs Klo, bevor sie zur Schule geht. Egal, ob sie Pipi machen muss oder nicht. Zur Sicherheit. Aber heute morgen hat Mama sie nicht gelassen, weil sie zu spät dran war. Und jetzt muss sie ganz dringend. Sie schaut sich um. Alle anderen zeichnen still. Nur Robin schräg vor ihr rutscht unruhig auf seinem Stuhl herum. Als ob er auch aufs Klo müsste. Aber Robin ist meistens so, er kann nicht stillsitzen. Darüber nervt sich Alma, weil sie sich dann nämlich nicht konzentrieren kann. Auf keinen Fall würde sie mit Kalila tauschen wollen. Die sitzt neben ihm. Dass die das aushält! Nur schon, wie er mit dem Stift über das Blatt fährt: mit großen Strichen vor und zurück und in jeder Richtung schießt er über den Blattrand hinaus. Allein das Zusehen macht Alma wuschig. Aber dann entdeckt sie, womit Robin da malt: Mit einem dunkelgrünen Stift! Mit ihrem Stift!

Sogleich will sie sich melden und Herrn Feigenwinter sagen, was sie gesehen hat. Aber ihr Arm bleibt unten. Das will gut überlegt sein. Oft reagiert Herr Feigenwinter ganz anders, als sie es erwartet. Und anders, als Frau Stocker reagiert hat, als sie noch ihre Lehrerin war. Sie überlegt sich genau, wie das Gespräch ablaufen könnte.

»Jaa?«, würde Herr Feigenwinter fragen.

»Robin hat meinen Stift«, würde sie sagen. Am besten ist es, kurz und knapp die Wahrheit zu sagen.

Dann würden alle aufschauen, zu Alma oder zu Robin. Alle würden sehen, dass Robin den dunkelgrünen Stift in der Hand hält. Das wäre gut!

»Robin, hast du Almas Stift?«, käme dann die Frage von Herrn Feigenwinter

Und dann müsste Robin Ja sagen. Weil klar, er hat ja ihren Stift.

Aber würde er das auch? Zuerst würde er wahrscheinlich auf seine Hand schauen und zurückfragen: »Was?«

»Der Stift in deiner Hand, hast du ihn aus Almas Federmäppchen genommen?«, würde der Lehrer nachfragen.

Und dann … Was wäre, wenn Robin einfach den Kopf schüttelt?

Der Lehrer würde laut einatmen und sagen: »Also, dann arbeitet alle weiter. Und du, Alma, beschuldigst bitte nicht die anderen Kinder, nur weil sie zufällig einen dunkelgrünen Stift in der Hand halten.«

Einige Kinder würden stöhnen oder sogar lachen. Sie würden ihr nicht glauben!

Dabei sieht sie es doch deutlich: Robin hat ihren Stift. Der hat genau die richtige Länge. Der goldene Schriftzug der Marke darauf stimmt auch. Die Spitze hat sie erst gestern neu geschärft, aber die ist schon völlig abgestumpft, weil Robin so fest aufdrückt und so wild zeichnet. Sogar der Tisch neben seinem Blatt ist schon ganz grün. Sicher hat Robin ihren Stift auch vorgestern schon genommen. Und gestern den hellblauen. Er braucht sich ja nur einmal umzudrehen und zuzugreifen. Aber es scheint, dass niemand sonst das so sieht. Glauben der Lehrer und die anderen etwa, dass sie lügt?!

Vor Schreck macht sie sich fast ein bisschen in die Hose. Sie kann das Pipi nicht mehr zurückhalten. Jetzt muss sie auch noch auf das Schulklo. Ein schrecklicher Tag!

Aber bevor sie hinausgeht, malt sie mit einem blauen Filzstift jeden ihrer Stifte auf der glatten, farbigen Seite an. Dann steht sie auf, bleibt neben ihrem Tisch stehen. Das ist das Zeichen, dass sie aufs Klo gehen möchte. Das hat Herr Feigenwinter ihnen so beigebracht, damit die Fragerei die anderen nicht stört.

Der Lehrer sieht sie, nickt ihr zu. Sie geht leise hinaus.

Draußen muss sie dann doch nicht mehr ganz so dringend Pipi machen. Sie hüpft auf einem Bein, dann auf dem anderen, aber das ändert nichts: Sie muss nicht mehr aufs Klo. Zum Glück! Aber zurück ins Klassenzimmer kann sie auch nicht gehen, sonst merkt ja der Lehrer, dass sie nicht auf dem Klo war. Also spaziert sie ein bisschen den Flur hinauf. Bis ganz vor zum Zimmer der Schulleiterin. Die Tür steht offen, Stimmen dringen heraus.

»Dann bringe ich Ennio jetzt mal in seine neue Klasse. Herr Feigenwinter ist ganz neu bei uns, und er macht das sehr gut.«

Alma horcht auf. Kriegen sie einen neuen Schüler? O nein! Das gibt Unruhe. Und vielleicht ist der Neue auch so zappelig wie Robin. Und wenn … wenn der neben ihr sitzt? Das geht nicht! Sie sitzt doch schon seit der ersten Klasse allein am Tisch. Das gefällt ihr, so hat sie ihre Ruhe beim Lernen. Und damit ist es aus, wenn Herr Feigenwinter den Neuen neben sie setzt. Und wenn der dann auch ihre Stifte nimmt? Und Herr Feigenwinter sagt, dass er das darf, weil er neu in der Klasse ist!

Alma würde am liebsten weinen, aber sie hält die Tränen zurück. Es ist nicht gut, wenn sie in der Schule weint. Dann muss sie erklären, warum, aber sie kann dann gar nicht reden, wegen der Tränen. Und der Lehrer wird ungeduldig und die anderen Kinder werden unruhig. Es ist besser, sie schluckt die Tränen hinunter. Das macht sie immer so.

Alma hört, wie Stühle gerückt werden im Zimmer drin. Gleich kommen sie heraus und der Neue sieht sie, und die Schulleiterin fragt, was sie hier draußen macht. Am liebsten würde sie sich irgendwo verstecken. Irgendwo, wo sie den neuen Schüler nicht kennenlernen müsste, auf dem Dachboden zum Beispiel. Aber dann könnte es passieren, dass der Hausmeister die Tür zuschließt und sie heute nicht nach Hause gehen könnte! Sie geht zurück zum Klassenzimmer, öffnet leise die Tür und schließt sie vorsichtig wieder. Leise sein ist anstrengend. Jetzt gerade noch viel anstrengender, denn alles in ihr möchte mit der entsetzlichen Neuigkeit herausplatzen: »Der Neue kommt!« Und die Tische stehen so nah beisammen, dass es fast unmöglich ist, nicht dagegenzustoßen. Wenn sie nicht aufpasst, dann schlenkern ihre Arme über ein Federmäppchen, das dann zu Boden fällt. Sie reißt sich mit aller Kraft zusammen und schleicht mit gesenktem Kopf zu ihrem Platz.

»Ich hab deinen Stift nicht, du Petze, du musst gar nicht so böse schauen!«, flüstert Robin ihr zu, als sie an seinem Tisch vorbeigeht.

Sie hat Robin gar nicht angesehen. Also kann sie ja auch gar nicht böse geschaut haben. Aber sie sagt nichts und setzt sich hin. Soll Robin doch denken, was er will.

Dann sieht sie, dass der dunkelgrüne Stift wieder in ihrem Federmäppchen ist. Aber nicht ordentlich an seinem Platz, sondern einfach reingeschmissen. Und die Spitze ist ganz flach. Sowas würde sie nie tun! Darum hat Robin gesagt, dass er den Stift nicht hat – weil er ihn zurückgelegt hat! Alma inspiziert ihn. Der dunkelgrüne ist jetzt der einzige Stift, der nicht angemalt ist. Aber halt: Am hellblauen ist die blaue Filzstiftfarbe verschmiert. Also hat Robin ihn wieder benutzt, als sie draußen war. Ha! Ihre Falle hat funktioniert. Jetzt hat Robin blaue Finger. So kann sie ihn überführen!

Sie schaut zu ihm nach vorn. Ob seine Finger blau sind, kann sie nicht erkennen. Aber seine Zeichnung hat hellblaue Stellen! Jetzt kann sie Herrn Feigenwinter alles sagen, jetzt hat sie echte Beweise. Aber ob das die anderen auch so sehen werden? Sie finden oft, dass ihre Beweise gar keine seien. Dann fängt es immer an zu brodeln, ganz tief in ihr drin. Und dann weiß sie immer nicht, was sie sagen soll, weil die Beweise, die sind ja klar. Auch wenn niemand außer ihr das so sieht wie sie.

Da klopft es an der Tür.

Illustrationen
Reihe

Die Reihe »insBesondere Kinder« legt den Fokus auf Kinder mit unsichtbaren Beeinträchtigungen, die fast nur Eigenheiten, Schrullen, besondere Angewohnheiten zu sein scheinen. Dennoch ist es nichts, was die Kinder einfach so ablegen könnten. Thematisiert werden bisher Zwangsstörungen, Hochsensibilität, Adhs und Autismus. Damit leistet die Reihe einen wichtigen Beitrag zu den Themen Neurodiversität und Inklusion.

 

In der Reihe insBesondere Kinder bisher erschienen:

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