Belletristik, Jugendbuch
von Bruno Blume
48 S. | mit 6 ganzseitigen, farbigen Illustrationen von Jacky Gleich
18,6 x 29,6 cm | Klappenbroschur
kwasi verlag 2016 || 20 Fr. | 19 €
ab 14 Jahren und für Erwachsene
ISBN 978-3-906183-23-7
Autor und Illustratorin
Bruno Blume ist in der Schweiz aufgewachsen. Seit 2001 sind 28 Bücher von ihm erschienen, von denen viele ausgezeichnet und übersetzt wurden. Er hat fünf Kinder und lebt – nach einigen Jahren in Italien und Deutschland – in Luzern.
Jacky Gleich ist in der DDR aufgewachsen. Sie hat Trickfilm studiert und ein eigenes Filmstudio geleitet. Seit 1995 sind über 85 von ihr illustrierte Bücher in einer Gesamtauflage von über einer Million erschienen. Sie gewann viele wichtige nationale und internationale Auszeichnungen.
Rezensionen
„Ganz schön mutig: Der Schweizer Kinder- und Jugendbuchautor Bruno Blume hat […] Adaptionen der fünf späten Tragödien für interessierte Jugendliche (aber auch Erwachsene) LeserInnen vorgelegt […]. Neu, anders, besonders bei Blume: An die Stelle der Akte sind innere Monologe (mit eingearbeiteten Dialogen) getreten, welche die Handlung aus wechselnden Perspektiven erzählen und interpretieren, was Blume erlaubt, zu psychologisieren oder auch die weiblichen Figuren stärker zu akzentuieren. Die Hauptstränge der Plots sind zwar bewahrt, doch anders geflochten, Komplexität und Umfang der Originale […] reduziert.“
Dr. Deborah Deller, Buch&Maus 1/17
Neurodiversität
Shakespeare lesen ist anstrengend, einerseits weil es Theaterstücke sind, andererseits weil viel Zeitcouleur und viele Nebenhandlungen drinstecken.
In dieser Ausgabe ist die Geschichte gestrafft, kleine Nebenrollen sind getilgt, Abschweifungen fehlen, die Taten der Figuren sind psychologisch begründet – ideal für Menschen im autischstischen Spektrum, die einfach der hoch aktuellen Geschichte folgen möchten.
Und was hat Macbeth, der grenzüberschreitende Machtmensch mit AutistInnen gemeinsam?
Shakespeares Macbeth
Beschreibung
Lady Macbeth gilt als eine der bösesten Frauenfiguren der Weltliteratur. Sie verführt ihren Mann zum Mord am König, um selbst Königin zu werden. Als er zögert, schleudert sie ihm entgegen: „Ich hab gestillt, ihm meine Liebe froh gegeben. Und hätt doch ihm meine Warze aus dem Mund gezerrt und ihm das Hirn zu Brei zerschlagen, wenn’s drauf angekommen.“
Wie sind die Rollen dieses Liebespaares wirklich verteilt? Was kettet sie zusammen, was projizieren sie aufeinander? Was verhindert, dass sie miteinander reden können, und lässt sie auf dem gemeinsamen Weg scheitern?
Leseprobe
Endlich schläft sie. Du meine Güte. Wäre sie nicht Königin, ich müsste denken, sie wär verrückt. Redet immerzu vor sich hin, wenn sie glaubt, sie ist allein. Ich belausche sie, werde aber nicht schlau daraus. Vor allem hat sie es mit Blut. Wer da blutet, begreif ich nicht, oder warum. „Blutiges Kind“, wiederholt sie ständig, „mein blutiges Kind.“ Mein Gott, welches Kind? Sie hat ja keins. Nicht mehr. Oder sie zuckt so mit den Händen, wirft sie so hin und her, als ob sie sehr beschäftigt wäre und Dinge täte, die niemand sieht. Vielleicht kommt’s davon, dass sie als Königin keine Arbeit hat. Den ganzen Tag nichts tun, na, ich weiß nicht. Hört sich ja ganz gut an. Aber das wird dann eben langweilig. Und so viel allein, weil der Herr immer unterwegs war. Jetzt regiert er immer und hat Besprechungen. Ja, dann fangen die Hände an, so zu tun. Das kann ich schon verstehen. Aber was sie tut, so als ob, das erkenn ich nicht. Sie macht die Bewegungen nur so halb. Und spricht auch nicht alles aus. Immer halbe Sätze. Als ob sie Geheimnisse hätte. Oder lieber gleich wieder vergessen würde, was sie denkt.
Der Doktor hat sie untersucht, aber er hat immer nur gelächelt und mit dem Kopf gewackelt. Ich hab gleich gemerkt, der findet nichts so mit dem Magen oder mit dem Herz. Es muss was andres sein, mehr tiefer drin in ihr. Ob da ein Doktor drankommen kann? Geht ja nicht, dass sie aufgeschnitten wird, nur zum Nachschauen. Aber er hat gemeint, er kommt noch mal heute Nacht, als ich ihm gesagt habe, dass sie immer nicht schläft. Ich hör sie herumgehen und in ihren Kleidern wühlen. Und dann redet sie wieder, aber ich weiß nicht, ob sie wach ist. Ich hab schon gehört, dass es welche gibt, die schlafwandeln. Kann schon sein, dass sie das macht. Sonst versuch ich immer, wieder einzuschlafen, wenn sie so rumort und mich weckt. Heute gehe ich mit dem Doktor und schau mir das an. Er ist ja viel gescheiter als ich und kann vielleicht verstehen, was sie spricht. Aber ich hab ihm angesehen, dass er lieber nicht herkommen würde. Kann aber nicht wegbleiben, da ist Befehl eben Befehl. Er hat Angst vor dem König. Ich versteh das. Sag dem König, seine Frau ist krank, schon wirst du für die schlechte Nachricht aufgehängt. Der kann ja machen, was er will. Sagt ihm ja niemand Halt.
So viele sind jetzt schon tot, die nur ein bisschen aufgemuckt. Nicht, dass ich was davon verstünde. Aber mein Vetter hat mir erzählt, wie’s in der Stadt zugeht. Keiner traut da keinem mehr, sagt er. Wer was Falsches sagt, kann noch am Abend baumeln, wenn’s in die falschen Ohren dringt. Ich glaub ihm das und hab zu ihm gesagt, er soll sich vorsehen, damit er nicht an die Falschen kommt. Er hat gesagt, er ist ja nicht dumm, und dass er lieber gar nichts mehr sagt.
Illustrationen
Weitere Infos
Macbeth ermordet den König, um selber König zu werden. Aber als Herrscher muss er weitermorden, um sein dunkles Geheimnis zu wahren. Er sucht Hilfe bei den weird sisters, die ihm zuvor schon prophezeit haben, dass er Than von Cawdor werde – was gleich darauf eingetreten ist – und später König. Nun erhält er die Vorhersage, dass ihn keiner besiegen könne, der von einer Frau geboren wurde. Macbeth folgert daraus, dass er unbesiegbar sei, doch auch dieser Glaube schenkt ihm keine Ruhe, bis es zur finalen Schlacht kommt.
Warum aber hat er den König umgebracht, da er ja an die Prophezeiung glaubt, also auch ohne Mord König geworden wäre? Eine wichtige Rolle spielt seine Frau, Lady Macbeth, die ihn zum Mord drängt, den sie als „grausame Notwendigkeit“ sieht. Ist sie also die Böse, die Eva, die ihn verführt?
In dieser Fassung spielt sie die Hauptrolle. Sie kennt ihren Mann genau, seinen Drang zu Größe, seinen unbedingten Willen, und sie erkennt sein Sehnen: „Du willst König sein.“ Aus ihrer Liebe heraus unterstützt sie ihn dabei, handelt, um ihre Beziehung zu erhalten, und kann ihn überzeugen: „Es ist das Schicksal selbst, das uns als Gast den König hergeführt. Es prüft uns! Der Schicksalsspruch ist vage, unser König noch nicht alt. Bleibt er noch vierzig Jahre auf dem Thron, was hast du dann vom Königsein als alter Greis?“ Doch die Morde sind nicht wie das soldatische Töten auf dem Schlachtfeld. Sie vergiften die oberflächliche Freude an der Macht, reißen alte Wunden auf. Als Lady Macbeth sich ihrem Mann schließlich doch noch in den Weg stellt, ist es zu spät.
Was also ist Schicksal? Gibt es das gar nicht, muss es erduldet werden, oder lässt es sich aktiv beeinflussen und gestalten? Und ist einer Vorhersage des eigenen Schicksals zu trauen? Wie lassen wir uns verführen von Horoskopen, Versprechungen, Vermutungen? Wie oft und mit welchen Mitteln setzen wir uns durch, wenn Ansprüche aufeinanderprallen und es heißt: ich oder sie?